Papa hat sich erschossen

Foto: Patrick Ohligschläger

Das war 2008. Da nahm sich der Vater von Saskia Jungnikl das Leben. Erfahren hat sie dies von ihrer Mutter, die ihr am Telefon sagte: “Papa hat sich erschossen.”

Nur vier Worte, die so nüchtern klingen und doch die Kraft hatten, Saskias Leben in “Vorher” und “Nachher” zu teilen. Vier Worte, die eine Welt zusammenstürzen ließen und die mehr Fragen aufwarfen, als Klarheit zu schaffen. Vier Worte, die zum ständigen Begleiter wurden derer, die zurückblieben.

http://www.spiegel.de/video/orf-papa-hat-sich-erschossen-video-99011507.html

Suizid ist im Leben unzähliger Menschen ein aktuelles Thema. Und trotzdem ist es noch tabu, darüber zu sprechen. Dabei ist gerade das offene Reden über Suizid die Möglichkeit für suizidale Menschen, sich endlich mal öffnen und anvertrauen zu können. Die Offenheit, über Selbstmordgedanken zu sprechen, kann so viele Leben retten.

Saskia Jungnikl dokumentiert den Selbstmord ihres Vaters und ihren Umgang mit dieser Tatsache auf eine bewundernswerte Weise, die genauso sachlich wie gefühlvoll ist. Man hört in jedem Satz, dass sie sich mit dem Thema auseinandergesetzt hat und versucht, zu verstehen. Ohne jemals zu urteilen.

” Eine Woche vor seinem Tod habe ich meinen Vater das letzte Mal lebend gesehen. Ich war das Wochenende über zu Hause, und kurz bevor ich fahre, renne ich ihm an der Küchentür in die Arme. Er hält mich fest und sagt, dass er mich liebt. Und er fragt, ob ich ihn in guter Erinnerung haben werde, wenn ich alt bin. Mein Vater neigt manchmal zum Pathetischen, also lache ich und umarme ihn fest. Ich sage ihm, dass ich ihn auch liebe. Er hat sich von mir verabschiedet. Es ist schaurig, dass er wusste, dass wir uns nie wieder sehen, ich aber nicht.” – derstandard.at/1363705757847/Papa-hat-sich-erschossen

Lieber Papageno als Werther!

Goethe und Mozart waren Genies. Ein jeder auf seine Art und Weise. Ich bewundere beide – aber bei einem Punkt ist mir Mozart lieber.

In Mozarts “Zauberflöte” gibt es den Vogelhändler Papageno, der sich umbringen will, weil er seine geliebte Papagena als verloren glaubt. Zum Glück schaffen es drei Knaben, ihn von diesem Vorhaben abzubringen.

In der Psychologie haben wir heute den Werther-Effekt (nach Goethes Werk “Die Leiden des jungen Werthers” im Romantismus) und den Papageno-Effekt (nach Mozarts Zauberflöte).

Leider ist der Werther-Effekt viel bekannter. In Goethes Werk nahm sich der junge Werther das Leben, weil er nicht mit seiner Geliebten zusammenkam. Der Selbstnord aus frustrierter Liebe wurde damals als “romantisches Highlight” angesehen und reihenweise brachten sich junge Männer um. Sie wollten damit nur ihre Liebe beweisen.

Schlimm ist der Werther-Effekt heute noch, wenn jemand sich durch den Freitod eines Promis darin bestätigt fühlt, dasselbe zu tun.

Unbekannter ist der Papageno-Effekt. Also, die Verhinderung eines Selbstmordes, weil Außenstehende den Betroffenen vor dieser Untat bewahren und ihm die Schönheiten des Lebens aufzeigen können.

Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie, hat sein Überleben des Konzentrationslagers in einem Buch niedergeschrieben. Mit dem Titel Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie.

Das gilt auch für die Prävention des Selbstmordes. Wer den höheren Sinn des Lebens erkennt, wird sich nicht leichtfertig das Leben nehmen. Und damit spiele ich kein Leid nieder.

Im Gegenteil, ich nehme persönliches Leid sehr ernst. Manches Leid meiner Klienten kann ich nachvollziehen und verstehen. Manch anderes kann ich mir nur vorstellen. In beiden Fällen urteile ich nicht. Ich bin immer bestrebt, das Leben zu erhalten und es lebenswert zu machen.

Darum bin ich überzeugt, dass Selbstmord (Suizid, Freitod etc.) keine (Er)Lösung ist.

Warum ich das so sehe, erkläre ich in meinem Vortrag am 31.03.2019 in Amsterdam.

Weitere Informationen sind dem Foto zu entnehmen oder können an mich per Mail kazaa71@web.de bzw. per Whatsapp +491784113484 gerichtet werden.

Buchtipp: Neben der Spur – Christiane Wirtz

Beim abendlichen Zappen blieb ich beim SWR hängen, denn das Gespräch in der Talkshow “Nachtcafé” interessierte mich. Eine blonde, selbstbewusst wirkende Frau sprach über ihre schizophrenen Psychosen. Erzählte Episoden ihrer Geschichte, als sie psychotisch war. Manchmal muss sie über sich selber lachen und man lacht gerne – und erleichtert – mit.

Aha, man darf also lachen über die verrückten Geschichten der anderen? Psychotische Episoden in der Schizophrenie sind leider so abstrus, dass man die Betroffenen entweder gerne als bekloppt oder fantasiereich abstempelt. Über die Geschichten, die sie erzählen, muss man oft lachen. Wenn man nicht genau weiß, was ein Wahn wirklich bedeutet und welches Leid dahinter steht.

Die Journalistin Christiane Wirtz spricht offen über ihre Schizophrenie. So offen, dass sie ein Buch darüber veröffentlicht hat: “Ich möchte jetzt das Thema journalistisch und unter Beteiligung einiger Leidtragender und Beobachter anpacken. Ich habe mich dazu entschlossen, aber noch ein wenig Angst. Was wird diese Veröffentlichung für meinen weiteren beruflichen Weg bedeuten? Was, wenn ich wieder meinen Job verliere, was, wenn Personaler mich, wenn ich mich künftig bewerbe, aussondern? Was, was, was…?”

Mit ihrem Buch “Neben der Spur” beweist Christiane Wirtz Mut. Mut, ihre Geschichte zu erzählen, wissend, dass sie auf Unverständnis stoßen kann.

Und Mut, sich für all die psychisch Kranken einzusetzen: “Psychisch Kranke sind nicht der Bodensatz der Gesellschaft, den man aussondern darf.”

Sie schreibt: “Ich hab schmerzlich feststellen müssen, dass eine große Sprachlosigkeit und Scham herrscht, wenn es um Psychosen geht. Viele Menschen haben eine Heidenangst davor. Es ist ein riesiger Unterschied, wie andere mit mir umgehen, je nachdem, ob sie von meiner Erkrankung wissen oder nicht. Dabei sind recht viele von Psychosen direkt oder indirekt betroffen, allein unter Schizophrenie leidet ein Prozent der Bevölkerung weltweit. Besoders kränkend ist es für mich, wenn ich gegen Mauern anrenne; wenn Menschen mich auflaufen lassen, das Gespräch mit mir verweigern – macht ja nichts, ist ja nur so ´ne Bekloppte.”

NEBEN DER SPUR von Christiane Wirtz ist meine Buchempfehlung für diesen Monat. Mit ihrem direkten, unverfänglichen Erzählstil nimmt sie den Leser mit in ihre Welt. Offenbart sich. Schont sich nicht. Sagt klipp und klar, wie die Dinge sind. Danke dafür, Christiane Wirtz!