Was bedeutet es, wenn man die Diagnose F 60.31 (nach ICD-10) erhält? Borderline-Persönlichkeitsstörung bzw. Emotional instabile Persönlichkeitsstörung Typus Borderline. Steckt man dann in einer bestimmten Schublade fest?
Mich persönlich stört der Begriff „Persönlichkeitsstörung“. Ich frage mich, ist die Persönlichkeit wirklich gestört, wenn sie in für sich lebensbedrohlichen Situationen einen Weg findet, um zu überleben? Sollte man dann nicht eher das Umfeld und die Situation als störend ansehen?
Persönlichkeitsstörung, Borderline, Diagnose, Klinik… immer wieder erfahre ich von meinen Klient/innen, dass diese Worte Angst machen. Betroffene haben Angst, stigmatisiert zu werden, falsch zu sein, verloren zu sein. Viele Angehörige haben Angst, mit von Borderline Betroffenen umzugehen, weil alles so ausweglos erscheint und man die Problematik nicht verschärfen möchte. Beide Seiten haben Angst, etwas falsch zu machen. So kommt man nicht weiter.
Wenn man sich die Symptomliste für F60.31 nach ICD-10 ansieht, so gibt es da 9 Symptome von Borderline. Für die Diagnosestellung reichen 5 von diesen 9 Symptomen. Damit kommen wir auf 256 verschiedene Diagnosestellungen für die Borderline-Persönlichkeitsstörung (meist mit dem Zusatz: nicht näher bezeichnet). De facto kann niemand in irgendeine Schublade gezwängt werden. Weiterhin stellt sich die Frage, warum 5 Symptome zur Diagnosestellung reichen. Warum nicht 6 oder 4? Wer hat das festgelegt?
Solche und weitere Fragen möchten wir erläutern und diskutieren: was bedeutet die Diagnose „Borderline“, wie geht es danach weiter, was ist eine Persönlichkeitsstörung, wie entsteht sie, wie geht es für Betroffene und Angehörige nach der Diagnose weiter?
Die Gelegenheit haben wir dazu am 24.05.23. Dann findet eine weitere Ausgabe der Gesundheitsgespräche vom Gesundheitsamt Köln statt.
Das Thema: Emotionale Instabilität vom Typ Borderline – Was ist das genau? werden meine Kollegin Bärbel Jung und ich an- und besprechen und sehr gerne Fragen aus dem Publikum beantworten.
„Borderline“ ist eine schwerwiegende und ernstzunehmende Sache. Doch ist „Borderline“ auch nicht ein unbezwingbares „Monstrum“. Je mehr man über „Borderline“ weiß, umso gestärkter und empathischer kann man „Borderline“ begegnen.
Borderline fordert sowohl Betroffene als auch Angehörige heraus. Wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Während es viele Therapieangebote für Borderline-Betroffene gibt, finden Borderline-Angehörige oft keine Anlaufstelle, um ihre Anliegen zu besprechen oder zu bearbeiten. Es gibt die Diagnose „Angehörigkeit“ nicht.
Das ZBA bietet Angehörigen eine Anlaufstelle, um sich in Selbsthilfegruppen auszutauschen. Darüber hinaus organisieren wir Workshops und Vorträge zu den Themen Borderline, Angehörigkeit und Co-Abhängigkeit.
In Kooperation mit der Volkshochschule Köln bieten wir folgende Veranstaltungen an:
Vom Rettungsboot zum Leuchtturm – Vom Chaos zur Klarheit. Borderline ist kein Einzelschicksal – Borderline ist Familiengeschichte
18.04.2023 (Di), 18 – 21:15 Uhr
VHS Studienhaus am Neumarkt, Cäcilienstr. 35, 50667 Köln
Borderline und Co. „aus Mustern“ – Nicht mit dir und nicht ohne dich.
02.05.2023 (Di), 18:00 – 21:15 Uhr
VHS Studienhaus am Neumarkt, Cäcilienstr. 35, 50667 Köln
Emotionale Instabilität vom Typ Borderline – Was ist das?
24.05.2023 (Mi), 18:00 – 19:30 Uhr
FORUM Volkshochschule im Museum am Neumarkt, Cäcilienstr. 29-33, 50667 Köln
Im Jahr 2014 habe ich mit Unterstützung der Selbsthilfe-Kontaktstelle Köln die Selbsthilfegruppe (SHG) „Kölner Selbsthilfe für Borderline-Angehörige“ gegründet. Seitdem finden zweimal pro Monat Selbsthilfetreffen für Angehörige statt. Aufgrund der Lockdowns im Zuge der Corona-Pandemie finden die Treffen zurzeit nur online statt. Der Vorteil davon ist, dass hilfesuchende Angehörige aus ganz Deutschland und dem Ausland an den Treffen teilnehmen können.
Konkrete Hilfe bieten! Lösungen finden!
Seit die Website der SHG (www.shg-borderline-angehoerige.de) online ist, erhalten wir vermehrt Anfragen von rat- und hilfesuchenden Angehörigen (im Durchschnitt sind es pro Woche 3 neue Anfragen).
Die SHG-Treffen dienen dem Austausch und der gegenseitigen Unterstützung der Angehörigen, die an ihre emotionalen und physischen Grenzen stoßen. Doch immer wieder kommen konkrete Bedarfe auf, die man in den Treffen nicht weitgehend besprechen bzw. bearbeiten kann, da dies den Rahmen eines solchen Treffens sprengen würde.
Die Selbsthilfegruppe für Borderline-Angehörige möchte den Bedarfen entsprechend ihr Angebot erweitern und hat daher am 20.11.22 den gemeinnützigen Verein „Zentrum für Borderline-Angehörige – ZBA“ gegründet.
Das ZBA will als Anlaufstelle für Angehörige von Menschen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung sofortige kompetente Hilfestellung bieten. Und zwar durch:
Angehörigen-Selbsthilfegruppen (Austausch zwischen Menschen, die „im gleichen Boot sitzen“, aufgeteilt in Eltern, Kinder, Partner:innen)
Workshops, Kurse und Seminare u. a. zu den Themen: Borderline-Persönlichkeitsstörung, Co-Abhängigkeit, Selbstschutz und Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit, Traumafolgestörung, Posttraumatische Belastungsstörung, Suizidalität, Narzissmus, Essstörung, frühe Bindungsstörung, sexualisierte Gewalt, Dissoziation
Kreative Workshops für die Psychohygiene: Theater, Gesang, Malerei, Kreative Schreibwerkstatt
Freizeitaktivitäten: u.a. Wandern, Klettern, Sport
Notruftelefon
Rechtliche Beratung
Vermittlung bei / Zusammenarbeit mit: Jugendämtern, Wohngruppen, Kliniken, Psychiater:innen, Therapeut:innen
Aufbau eines regionalen, nationalen und internationalen Netzwerks von gleichgesinnten Institutionen
Förderungen des Vereins und Projekten
In einem nächsten Schritt dann:
Gemischte Selbsthilfegruppen (Angehörige und Betroffene lernen voneinander)
Trialogische Selbsthilfegruppen (Angehörige, Betroffene und Fachleute setzen sich auf Augenhöhe zusammen)
Die Aktivitäten des ZBA stehen ganz im Zeichen der „Grünen Schleife“: „mehr Akzeptanz, ein besseres Bewusstsein und eine offenere Haltung dem Thema psychische Erkrankungen gegenüber“.
Der Verein Zentrum für Borderline-Angehörige – ZBA
Das Zentrum für Borderline-Angehörige – ZBA e.V.i.G. soll in Köln eine physische Anlaufstelle sein. Sofern es möglich ist, sollen die Angebote und Veranstaltungen auch online mitzuverfolgen sein.
Ein weiteres Ziel des Vereins ist eine regionale, nationale und internationale Vernetzung mit Institutionen, Vereinen, Professionellen im Gesundheits- und Künstlerbereich, Stiftungen, Kliniken etc., um Wissen auf Basis von Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu vermitteln.
Zielgruppen:
Angehörige von Menschen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung
Therapeutisch Tätige
Weitere Selbsthilfegruppen, Institutionen, Stiftungen
Menschen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung
Ehrenamtler:innen und Interessierte
Aktuelles
Der Verein ZBA hat bereits seine Gemeinnützigkeit erhalten und befindet sich zurzeit im Prozess, ein e.V. zu werden.
In Kooperation mit der VHS-Köln bieten wir verschiedene Veranstaltungen im 1. Semester 2023 an.
Wer mehr erfahren möchte oder ehrenamtlich in verschiedenen Bereichen des Vereins tätig werden möchte, kann sich gerne per Mail info@zba-koeln.de an uns wenden.
Filmemacherin und Regisseurin Alice Schmid kennt die drei Vs.
Edvard Munch „Pubertät“ (Quelle: Internet)
Obwohl es kein Geheimnis mehr ist, dass Opfer von sexualisierter Gewalt über dieses unbeschreibliche Unrecht, was ihnen angetan wurde, nicht sofort und auch nicht später, sprechen können, beharren Gesellschaft und Justiz immer noch darauf: „Warum hast du denn nicht schon früher was gesagt?“
Warum nicht? Na, weil es nicht ging! Weil es schlichtweg unmöglich war! Aus u.a. zwei Gründen: die Scham über das Geschehene war zu groß und die geschädigte Person hat Zeit ihres Lebens „gelernt“, dass ihre Bedürfnisse nichtig seien und sie selbst gar keine Daseinsberechtigung habe und an dem Geschehenen ja wohl selbst Schuld habe! (Die absurde und aus dem Nichts gegriffene Schuldzuweisung funktioniert leider immer noch zu häufig. Täter wissen das!).
Zweitens: das Grauen war so groß, dass es abgespalten und in die Vergessenheit (oblivion) geschickt wurde. Und da jahrzehntelang verharrt/e. Sodass noch nicht mal die betroffene Person dieses Erlebnis „mal eben so“ ins Bewusstsein rufen kann.
„Ich gehe in die Wüste und komme erst wieder heraus, wenn ich es schaffe, zu sprechen!“
Die Schweizer Filmemacherin und Autorin Alice Schmid hat viele Filme herausgebracht, die immer das gleiche Thema haben: Kinder in Gewaltsituationen! Ihr war nie bewusst, warum sie gerade dieses Thema faszinierte, bis sie eines Tages das Bild „Pubertät“ von Edvard Munch sah. Plötzlich wurde ihr bewusst, warum sie mit 16 Jahren aufgehört hatte, zu reden. Damals wurde ihr während eines Jugendcamps von ihrem Schwimmlehrer nachts im Zelt sexualisierte Gewalt angetan, weil dieser Alice zu ihrem 16. Geburtstag „ein ganz besonderes Geschenk“ machen wollte. Diese Nacht im Zelt hatte ihr das Leben vergiftet und ihr die Sprache genommen.
Es sind 50 Jahre vergangen, in denen Alice Schmid ihrem Beruf nachgegangen ist, Filme unter extremsten Begebenheiten gemacht hat und niemals Angst hatte, obwohl sie dem Tod während ihrer Filmarbeiten schon oft ins Auge sah.
Jahrzehntelang porträtierte sie das Leben von Kindern, die extrem traumatisierenden Erlebnissen ausgesetzt waren. Sie selbst setzte sich dafür Gefahren aus, deren Ausmaß sie sich erst später bewusst wurde. Oder deren Ausmaß sie in diesem Moment gar nicht interessierte.
„Ich muss dem Mädchen in mir verzeihen. Es konnte sich nicht wehren. Nicht zu Hause und nicht im Zelt.“
In ihrem Film „Burning Memories“zeigt Alice Schmid im künstlerischen Zusammenspiel von Wort und Bild auf eine ehrliche und hoffnungsgebende Weise, ihre Geschichte.
Obwohl diese Auseinandersetzung der eigenen Geschichte von Alice Schmid anderen Betroffenen helfen soll und kann, sei hier eine Triggerwarnung ausgesprochen:
DasTraumaHilfeZentrum Nürnberghat ein Selbsthilfebuch für traumatisierte Menschen in verschiedenen Sprachen herausgebracht
(Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des THZ)
„Kopfschmerzen“, „Keine Konzentration“, „Ich habe schlecht geschlafen“… wer mit Menschen arbeitet, die aus welchem Grund auch immer ihre Heimat von jetzt auf gleich verlassen mussten, hört diese Aussagen bestimmt sehr oft. Auf den ersten Blick sind es alltägliche Probleme, die jeden mal ereilen. Und so denken auch viele Geflüchtete. Ihr Trauma nehmen sie oft nicht wahr oder wollen es (verständlicherweise) nicht wahrhaben.
Das TraumaHilfeZentrum Nürnberg hat ein Selbsthilfebuch für traumatisierte Menschen herausgegeben, was in zehn Sprachen übersetzt zum kostenlosen Download auf der Website zur Verfügung steht.
Kölner Selbsthilfe für Borderline-Angehörige erhält Urkunde von der Oberbürgermeisterin
Jedes Jahr verleiht die Stadt Köln den Ehrenamtspreis im Rahmen von „Köln Engagiert“, um die wichtige Arbeit der Ehrenamtler und Selbsthilfegruppen zu würdigen. Die „Kölner Selbsthilfe für Borderline-Angehörige“ (www.shg-borderline-angehoerige.de) hat sich in diesem Jahr beworben.
Leider hat sie keinen Preis bekommen, dafür aber eine Urkunde der Oberbürgermeisterin Kölns, Henriette Reker. In der Urkunde spricht die Stadt Köln ihren Dank und ihre Anerkennung für das Engagement der Selbsthilfegruppe aus.
Ein Vordruck, klar. Aber trotzdem wurde das Engagement wahrgenommen und wir machen weiter!
Münchhausen-by-proxy: Eine oft übersehene Kindesmisshandlung
Ihre Mutter machte Nina Blom 14 Jahre lang physisch und psychisch krank.
Foto: Kai Kreutzfeldt
„Man braucht nur ein wenig Fantasie und alle Schlösser öffnen sich.“
(Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen)
Ich bin im Zoom-Room und warte auf Nina Blom. Es gibt ein Zucken auf der schwarzen Leinwand und ich sehe, wie sich Nina einloggt. Eine Audioverbindung muss noch hergestellt werden und dann höre ich ein freundliches „Goedemorgen“. Vor mir sitzt Nina Blom, leider nur virtuell, deren Biografie ich vor kurzem gelesen habe. Ich kenne viele Seiten ihres Lebens, sie kennt mich überhaupt nicht. Meine Website ist auf Deutsch, was sie nicht versteht. Sie weiß nur, dass ich Heilpraktiker für Psychotherapie bin und sie für eine Lesung, am liebsten nach Köln, einladen möchte. Ihr freundlicher Blick und ihr offenes Lächeln schaffen sofort eine herzliche Atmosphäre.
Wir winken beide lächelnd in die Kamera und beginnen unser Gespräch. Natürlich hatten wir vorher ein paar Mal Kontakt auf LinkedIn und per E-Mail. Ich hatte mich vorgestellt und gesagt, warum ich mit ihr sprechen möchte.
Nina ist eine Überlebende ihrer Mutter, die am Münchhausen-by-Proxy-Syndrom litt. Eine subtile Art der Kindesmisshandlung, die anscheinend wegen ihres verharmlosenden Namens nicht so viel Aufmerksamkeit bekommt, wie sie sollte. Ich bin in den 1970er Jahren aufgewachsen und kenne den Baron von Münchhausen aus Märchen. Ein netter Mann, der sich Abenteuer ausdenkt, die er erlebt haben will und damit in der Gesellschaft mächtig für Aufmerksamkeit und Bewunderung sorgt. Und genau das wollte er: Bewunderung und Aufmerksamkeit. Doch da er selbst nicht Grund genug dafür war, erfand er abenteuerliche Geschichten und gewann so Gehör. Alles ganz harmlos und niemand kommt zu Schaden, wer seine Geschichten hört.
Ninas Mutter machte es fast genauso. Doch erfand sie keine Abenteuer, um Aufmerksamkeit zu erfahren, sondern sie erfand Krankheiten, die Nina nie hatte, redete sie ihr ein und zwang sie, den Ärzten Symptome vorzuspielen. Bloß nicht der Mutter widersprechen, denn diese wollte sich vor dem Arzt nicht blamieren!
Wie Münchhausen wollte auch Ninas Mutter Aufmerksamkeit und Bewunderung. Doch benutzte sie ihre Tochter dazu, indem sie sie krank machte und ihr jede Lebenskraft absprach. Bis diese tatsächlich eines Tages immer mehr verschwand.
Nina heute! Foto: Facebookseite von Nina Blom
„Sag dem Doktor, dass du Schmerzen hast. Ich will mich nicht blamieren! Hörst du, was ich sage?“
Die Misshandlungen durch die Mutter begannen, als Nina erst ein paar Monate alt war. Das hat sie recherchieren können. Sie erinnert sich daran, dass ihre Mutter sie als kleines Kind besorgt ansah und sagte: „Du bist krank!“. Nina wurde in der Schule krankgemeldet, ihr wurden irgendwelche Medikamente verabreicht und Schmerzen in Armen und Beinen eingeredet. Diese musste sie als Kind den Ärzten immer wieder bestätigen, denn vorher wurde sie von ihrer Mutter gebrieft: „Sag dem Doktor, dass du Schmerzen hast. Ich will mich nicht blamieren! Hörst du, was ich sage?“
Irgendwann holte die Mutter Nina von der Schule ab und hatte die Lösung für Ninas vermeintliche Probleme. Zu Hause angekommen wickelte sie Ninas Arme in festgeschnürte Verbände. Ohne jeden medizinischen Grund. Von da an durfte Nina nicht mehr in die Schule gehen, ihre beste Freundin nicht mehr treffen und landete irgendwann im Rollstuhl.
Bis zu ihrem 14. Lebensjahr hatte Nina 16 Krankenhausaufnahmen und ging sogar auf eine Schule für körperbehinderte Kinder. Ihr Körper war aber völlig gesund und funktionsfähig. Doch durfte er nicht so fungieren, wie er sollte und verkümmerte. Als Jugendliche musste Nina ihre Körperfunktionen wieder kennenlernen und trainieren.
Der Kinderarzt als Retter
Es ist fast nicht zu glauben, aber als scheinbar überaus fürsorgliche und besorgte Mütter schaffen es Münchhausen-Mütter immer wieder, die Fachleute davon zu überzeugen, dass ihre Kinder schwer krank sind. Sobald ein Arzt Zweifel an der vermeintlichen Krankheit anmeldet, wird ein neuer Arzt gesucht. Das war bei Nina nicht anders. Nur weil ihr damaliger Kinderarzt so aufmerksam war, ihre Patientenakten genau las und die richtigen Schritte einleitete – nämlich Nina aus dem Elternhaus zu entfernen – konnte sie überleben. Zu der Zeit hieß es, dass sie keine Überlebenschancen hätte, was die Eltern einfach so hinnahmen, anstatt um das Überleben ihrer Tochter zu kämpfen.
Der nette Name Münchhausen-Syndrom steht für eine schwere Form der Kindesmisshandlung. Diese wird oft übersehen, da die Kinder keine Beulen oder Hämatome aufweisen, wie es bei „üblichen“ Misshandlungen der Fall ist. Es sind meistens die Mütter selbst, die ihre Kinder zum Arzt oder ins Krankenhaus bringen; den Kindern unter Strafandrohung einbläuen, die Krankheiten bzw. Schmerzen zu bestätigen (wenn niemand zugegen ist) und sich vor den Medizinern als höchst besorgt darstellen. Wer würde einer solchen Mutter eine Misshandlung unterstellen?
Das macht es so schwer, die Misshandlung von echter Fürsorge zu unterscheiden. Hierbei ist es unter anderem lebensrettend, die Patientenakte des Kindes genau zu studieren, das Kind von der Mutter getrennt zu befragen und bei abwehrendem Verhalten des Kindes bzw. seiner ausgeprägten Loyalität zur Mutter besonders aufmerksam zu sein.
Hinweis: Es sind meistens die Mütter, die am Münchhausen-by-proxy-Syndrom leiden. Selten die Väter. Diese sind eher abwesend, haben kaum eine Beziehung zum Kind und unterstützen ihre Frauen, ohne irgendetwas zu hinterfragen.
Die Lesung „Du bist ein schreckliches Kind!“
Nina und ich haben fast eine Stunde per Zoom gesprochen. Sie hat mir erzählt, wie sie in den Niederlanden ihre Lesungen an Universitäten und Instituten für psychische Gesundheit hält. Meistens kommt sie gar nicht dazu, aus ihrem Buch zu lesen, da ihre Informationen vorab schon so viel Grundlage zur Diskussion bieten. So ist es ihr auch lieber, denn sie möchte mit dem Publikum in Kontakt treten. Fragen beantworten, ihre Erfahrungen spontan teilen. Der Austausch und die Aufklärung sind ihr wichtig. Das Buch kann man dann zu Hause lesen, auf Niederländisch oder Englisch.
Ich habe Nina eingeladen, im nächsten Jahr eine Lesung über das Münchhausen-by-proxy-Syndrom basierend auf ihrer Lebensgeschichte in Deutschland zu geben. Wo und wann werde ich noch bekanntgeben.
Nina ist eine Überlebende. Zum Glück! Und so viele andere können es auch sein!
Viele Angehörige wissen oft nicht, was Borderline überhaupt bedeutet und wie sie sich am besten verhalten können, um den nahestehenden Menschen, der an dieser Erkrankung leidet, unterstützen zu können.
In diesem letzten Teil der Postcast-Trilogie der Eckhard Busch Stiftung zum Thema Borderline spreche ich von meinen eigenen Erfahrungen als damals co-abhängiger Partner und meinen Erfahrungen in der Selbsthilfegruppe.
„Ich habe die Diagnose erhalten und weiß jetzt, dass ich Borderliner bin“, diesen Satz habe ich schon oft von Menschen gehört, die an der Emotional instabilen Persönlichkeitsstörung Typ Borderline leiden. Die Diagnose benennt eine aktuell vorhandene psychische Situation der betroffenen Person. Die Reaktionen darauf sind sehr unterschiedlich. Einige sind erleichtert, haben sie nun endlich eine Erklärung für ihre wechselhafte Gefühlswelt und ihre – wie sie selbst empfinden – übertriebenen Reaktionen auf verschiedene Situationen, die sie sich selbst nicht erklären konnten. Andere wiederum empfinden diese Diagnose als Stempel und fühlen sich „gebrandmarkt“ in eine Schublade gesteckt.
Ich sehe die Diagnose als eine Hilfestellung an, die einem den Weg weisen kann, an sich zu arbeiten und die Situation zu ändern. Niemand mit dieser Diagnose ist „eine Borderlinerin/ein Borderliner“. Niemand IST das, was die Diagnose besagt, egal, um welche Krankheit oder Störung es sich handelt. Man HAT und LEIDET AN dem, was festgestellt wurde, in diesem Fall: Emotional instabile Persönlichkeitsstörung Typ Borderline (F60.31).
Im Podcast 19, Teil 2 der Eckhard Busch Stiftung spricht Reka Markus, Leitende Oberärztin der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotraumatologie an der LVR-Klinik Köln, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, DBT-Therapeutin (DDBT) und Spezielle Psychotraumatherapie (DeGPT) über die Diagnose „Borderline“ und deren Behandlungsmethoden und Heilungsmöglichkeiten.
Niemand muss mit dieser Störung in ihrem gesamten Ausmaß leben. Man kann dagegen angehen. Die mutmachenden Aussagen von Reka Markus für Betroffene und Angehörige gibt es hier zu hören:
Mit diesem Beitrag will ich mich bestimmt nicht gegen lesen und Literatur aussprechen – das käme mir nie in den Sinn. Vielmehr will ich auf die wertvolle Ressource des Podcasts hinweisen.
Vor 20 Jahren war es in den deutschen „Öffis“ immer sehr still, weil die meisten Leute in Bücher oder Zeitungen vertieft waren. Heute ist es meistens still, weil viele ihre Kopfhörer im Ohr haben und Musik hören. Wie wäre es, während der Fahrt zur Arbeit, Uni etc. mal einen Podcast zu hören?
Zum Beispiel den trialogischen Podcast „Redseelig“ der Eckhard Busch Stiftung rund um psychische Krisen, Erkrankungen und gegen das Stigma! Und die Gelegenheit nutzen, um Betroffenen, Angehörigen und Expert*innen zuzuhören.
Im aktuellen Podcast (Folge 19) erzählt Annika, die an der Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet, wie es für sie war, die Diagnose zu erhalten und was sie daraus gemacht hat.
Dieser Podcast ist der erste einer Trilogie, die sich mit dem Thema Borderline-Persönlichkeitsstörung beschäftigt.